Freitag, 20. April 2007

Essay über einen Film; Essay über ein Selbstgespräch.

Seit Tagen nur Wind aus Nord-Nordwest; die kalten Böen nehmen an Stärke beständig zu, wie ich mit wachsender Erregung täglich auf meinem Weg zur Universität feststelle. Da braut sich was zusammen, und es wird mich diesmal nicht so leicht davon kommen lassen. Solange nur Äste von den Bäumen fallen, mag es noch gehen; aber ich fürchte den Tag, an dem mir die losen Pflastersteine in der Gützkower als Geschosse entgegenfliegen. Wie das so ist, erschlagen zu werden von einem Pflasterstein, faustgroß und felsig?

Zuerst immer die Düsternis: Nichts Niemand Nirgends Nie! : Nichts Niemand Nirgends Nie! Doch danach sind es jedes Mal zwei Dinge, die sie nennen, die Zurückgekehrten, die fast Aufgegebenen: Der Tunnel und der Film. Dabei ist der Tunnel doch eher zu den langweiligen Phänomenen zu rechnen, hinlänglich zu erklären mit medizinischer Allerweltsbildung. Außerdem haben Tunnel für mich ihren Reiz verloren, seit ich meiner Matchbox-Flotte keine Rennstrecken aus Bauklötzern mehr baue.
Aber wie wohl der Film aussieht, der mir (hoffentlich um jedwede vergessenswerte Passage gekürzt...!) mein Leben noch einmal vorführt? Ob dabei eine Stimme aus dem Off sämtliche meiner Taten kommentiert, sich göttlich aufspielt und Gericht hält über mein Leben! Das wär einmal interessant, wie ich mich dann verteidigte. So viel sei versichert: Ich schätze die normative Moralphilosophie nicht, habe auch keine Skrupel, dies dem sphärischen Richter bei meinem Schlusswort entgegenzubrüllen. Mir waren Verbrecher, die sich zu ihren Taten bekennen, schon immer lieber als solche, die dem Druck der Öffentlichkeit nachgeben: Bereuen -- sag ich -- niemals!

Hoffe ich, dass keine Stimme aus dem Off mein zwischenweltliches Filmerlebnis beeinträchtigt. Doch welcher Machart mein Biopic ist, das würde ich gerne wissen. Welcher Typ Regisseur? James Cameron oder Richard Linklater? Claus Peymann oder Christoph Schlingensief? Und ob ich noch einmal alles aus der Ego-Perspektive erleben muss, ober ob die Geschichte wenigstens auktorial erzählt wird, gar personal? Und wo sind die Schnitte, die Kapitel, vor allem: die Weglassungen!? ("Verschiebung ins Extradiegetische" würde der Literaturwissenschaftler das nennen. Ich habe was gelernt in meinem kurzen Leben.) Da ist viel zu streichen, und noch mehr zu kürzen. Ich hoffe doch, dass ich vielerlei Fliegendreck nicht in der Wiederholung sehen muss. So:


KLAUS-JOCHEN GROTHE (Rhetoriker):
Sie lassen bei ihrer Rede den linken Arm immer so hängen, während sie mit dem rechten rumfuchteln. Dabei wär es doch gut, wenn Sie beide Hirnhälften mit einbeziehen! (Hier skeptisches Grunzen der Seminarteilnehmer.) Na ja, Sie kennen das doch: Der linke Arm wird von der rechten Hinhälfte gesteuert und der rechte Arm von der linken Hirnhälfte. Wenn Sie strukturelles und kreatives Denken verbinden wollen brauchen Sie beide Hirnhälften, also auch beide Arme!

GEORG:
Wieso?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Nun, wenn Sie beide Arme, die ja aus rhetorischer Sicht nur Verlängerungen unseres Gehirns darstellen, mit einbeziehen, dann beziehen Sie ja auch beide Hirnhälften mit ein! Das heißt dann, dass Sie beide Arme benutzen müssen, damit ihre Rede besser wird!

GEORG:
Aha. Für wen?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Wie, für wen?

GEORG:
Für wen wird die Rede dann besser?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Na für ihre Zuhörer in erster Linie. Dann können sie besser mit ihrem Publikum kommunizieren! Das versteht sie dann besser!

GEORG:
Das will ich doch gar nicht.

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Nicht? Sie wollen nicht, dass man Sie versteht? Sagen Sie mal, was wollen Sie dann überhaupt hier?

GEORG:
Reden halten.

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Ja und an wen?

GEORG:
Wie, an wen?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Verdammt nochmal, an wen wenden Sie sich hier beim Reden?

GEORG:
An mich selbst.


So wäre es also, das ewige Selbstgespräch, das mein Leben ist. Mich versteht ja eh keiner, und zwar weil es 1.) einen Andern als mich gar nicht gibt (Idealismus) oder 2.) falls es doch jemand anderes gibt, dieser mich mit Sicherheit nicht so versteht, wie ich es gern möchte (Konstruktivismus). Warum dann also erst versuchen, mich verständlich zu machen!? Im Diskurs mit mir selbst komme ich am ehesten zu Ergebnissen. Kein Gesprächspartner ist so faszinierend wie ich selbst.
Was die anderen angeht, so mische ich mich nicht in ihre Angelegenheiten. Ich versuche gar nicht erst, ihnen meine Sicht der Dinge begreiflich zu machen. Das wäre wie ein vergebenes Gespräch bei der Feldarbeit, denn das tägliche lebenslängliche Mähen des Getreides macht das Denken in fremden Ackerfurchen schwierig und den Geist träge; die moderne Maschinerie tut ihr Übriges, um die Störgeräusche hinaufzuschrauben. (Die Dreschmaschine rüttelte schtändig dazwischen, wir konnten sagen & denken was wir wollten. Also lieber bloß zukukken.)

Falls mir also heute Abend bei meiner Spazierfahrt ein Stein gegen den Kopf fliegt, ausversehen, und ein großes Loch dahineinreißt: Dann sehe ich möglicherweise einen Film, der, gekürzt oder ungekürzt, vor allem eines enthält: Mein lebenslanges Gespräch mit mir selbst, in das ich niemanden hineinlasse, und das gerechterweise auch nicht versucht, sich in ein anderes Selbstgespräch einzuklinken. Der Titel des Films:
Ich sage mir: Nichts Niemand Nirgends Nie! : außer mir.
K. - 23. Apr, 13:15

abkürzungsverzeichnis: du=georg

soweit.

"Im Diskurs mit mir selbst komme ich am ehesten zu Ergebnissen."

ich hoffe nicht, dass das stimmt. es zeugte von anmaßung.

wenn du es qualitativ siehst, ist es doch der austausch, der den besuch der universität erstrebenswert und ihre erhaltung nützlich erscheinen lässt. könnten die gleichen erkenntnisse auch im stillen, d.h. allein erzielt werden, könnte wir uns diese herrlichen räume mit vogelgezwitscher und fuchsbalz sparen. wir würden kleine kabinette einrichten, das licht löschen und alle dahindenken lassen. georg, wir kämen keine zwei meter weit!

siehst du es tatsächlich zeitlich, dann sei dir gesagt, dass die schnelle erkenntnis doch nicht die bessere ist. täglich, georg, täglich erwehre ich mich praktikabilitätswünschen, die das hochzuhaltene ideal anspringen und es herunterreißen wollen, in die tiefen der schnell(lebig)en gedanken. lassen wir uns zeit, nehmen wir uns zeit. denken wir zweimal nach, fragen wir andere, beugen wir uns nicht der herrschenden meinung. mindermeinungen sind nicht minder wichtig.

ob es nicht viel langweiliger wäre, wenn es (idealismus) einen anderen als dich nicht gäbe. der normative zustand ist aber nicht georg allein in georgs welt.

drum wünsche ich dir, dass dein biopic von r. linklater inszeniert wird. dann besteht zumindest die chance, dass du auf dieser letzten reise jemanden im zug triffst und noch ein letztes mal entscheiden darfst, ob du diese person hinaus in die stadt nehmen wirst, auf die gefahr hin, dass sie dich nicht versteht, wie du es gern möchtest. aber das öffnet räume, räume.

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