Montag, 23. April 2007

Dans le café: Au lait! Au lait! Au lait! Olé Olé Olé!

Ergriffen hatte sie meine Hand an der Stelle, als ich von Adornos wagemutigem Ausspruch Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch! und dessen Rezeption bei zeitgenössischen Schriftstellern zu sprechen begann. Draußen nieselte ein kalter Frühlingsvormittag, doch die Croissants waren dafür noch so warm, dass die Butter auf ihnen zerlief. Aus den kleinen Eck-Boxen pümpften die Rolling Stones, das gab mir so den richtigen Schwung in meinen Ausführungen:

Immerhin hat Paul Celan sein ganzes Leben immer unter ganz paranoidem Verfolgungswahn gelebt, als deutschsprachiger Jude. Sulamiths aschenes Haar spukte ihm sozusagen ganz unaufhörlich durch seinen Kopf. Celan hat total Angst gehabt vor den Deutschen, hinter jedem hat er noch einen alten Nazi gesehen. Vielleicht wärs ihm sozusagen lieber gewesen, wenn kein Deutscher bereut hätte und sich mit den Juden versöhnt hätte, denn dann hätte er ja immerhin gewusst, woran er ist.

Während sie nun meine Faust umklammert, betrachte ich ihre Finger: Sie sind ganz kalt und haben kleine weiße Flecken auf den ansonsten hübschen Nägeln; ich sollte ihr empfehlen, mehr Milch zu trinken.

Meinst du wirklich? äugt sie gefesselt. Und sagt: Das ist ja spannend!

Klar meine ich das, ist doch logisch. Weißt du, genau solche Typen wie Günter Grass, die den Deutschen ihre Verbrechen vorhalten, und dann aber sozusagen selbst alte Nazis waren, vor denen hatte der arme Paul Celan Angst. Der war sogar mit Grass befreundet! Wenn der das gewusst hätte! Ist sozusagen ein Glück, dass Celan schon so lange tot ist, der würde sich nämlich im Grabe rumdrehn, wenn der die SS-Geschichte hören könnte. Ist doch gut, dass er sich von der Brücke gestürzt hat ...

Ach, du bist immer so radikal!: strahlt sie mich an.

Dergestalt erzähle ich noch ein Weilchen weiter, alles auswendig aus dem Kopf. Von Grass komme ich nach Danzig, von Danzig nach Hamburg, von Hamburg zu Jan Philipp Reemtsma, von Reemtsma zu Arno Schmidt und dann wieder zurück. Weil ihre Hand immer fester die meine drückt, beschleunige ich meine Ausführungen, um schneller fertig zu werden. Da bekommt sie vom Kellner noch ein Glas Milch, das sie auf meinen Rat bestellt hat. Doch auch beim Trinken behält die Furie meine Hand immer in ihrer Umklammerung! Schließlich gelange ich an die Stelle, an der ich jedes Mal rhetorisch frage, ob es nicht ein Treppenwitz der Geschichte sei

dass Jan Philipp Reemtsma während seiner Entführung ausgerechnet in Osterholz-Scharmbeck in einem Keller festgehalten wurde, wo doch seine eigene Familie aus Osterholz stammt! Für 30 Millionen hat ihn seine Familie damals frei gekauft. Aber die schwimmt ja auch im Geld. Du weißt doch bestimmt, Jan Philipp Reemtsmas Vater war der Besitzer von den bekannten Reemtsma Cigaretten-Fabriken, die mit Davidoff und West und ähhh Cabinet! Na ja, jedenfalls wollte Jan Philipp Reemtsma sein Geld nicht mit dem Lungenkrebs anderer Leute verdienen. Und deswegen hat er, als er 1978 die Fabriken vollständig geerbt hat, einfach alles verkauft. Musst du dir mal vorstellen! Verkauft der einfach ein milliardenschweres Tabak-Unternehmen! Wird sozusagen auf einen Schlag Multimillionär! Na und was hat er dann gemacht!? Er hat sein Geld für die Kunst eingesetzt, für die Literatur! Hat sich sozusagen gedacht: Jetzt werde ich ein Mäzen, ganz so wie im Mittelalter, dann behält die Welt immerhin noch was von mir in Erinnerung! Ist das nicht beeindruckend? Reemtsma hatte nämlich einen Lieblingsschriftsteller, von dem hab ich dir ja schon erzählt vorhin: Arno Schmidt. Und dem hat er einfach dreihundertfünfzigtausend De-Mark geschenkt. 350.000! So viel war zu dieser Zeit ein Nobelpreis wert, musst du wissen. Ist doch toll. Der verkauft die Tabak-Fabriken und spendiert seinem Lieblingsschriftsteller von dem Geld einen privaten Nobelpreis! Großartig oder? Das sind die modernen Helden der Literatur!

Die Stones-CD muss schon vor einer Weile zu Ende gespult haben. Jetzt schnalzt Schnittke aus den Boxen, das zerschneidet die gemütliche Café-Stimmung. Ich habe weder Luft noch Lust, in meiner Geschichte fortzufahren. Aber das ist auch gar nicht nötig. Sie stöhnt ja schon!:

Ach, mein Held!
Ich: Ach, Liebchen, jaja, ist schon gut.
Sie dann: Nein wirklich! Du bist einfach der Anekdotenkaiser! Ein Geschichtenwunder! Ein ästhetischer Gott!
Ich dann: Jaja, hast ja Recht, lass mal gut sein.

Ich möchte vor allem meine Hand befreien, das Miststück umkrallt sie wie einen Rettungsring. Wart nur, gleich werd ich dir zeigen, was deine Hand an mir alles anstellen kann, wenn du sie richtig einsetzt! Ich schlucke den Schmerz und grinse ihr in die Augen, die ganz hinreißend zurückglitzen. Ich weiß schon, was jetzt kommt. Nachher wird sie brüllen CELAAAN! CELAAAN! SCHMIIIIIDT! wenn sie es nicht mehr halten kann. Ich aber stöhne dann leise und zufrieden Jan ----- Philipp! Au lait au lait au lait!

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