Dienstag, 12. Juni 2007

LIBERTANIA!*

DU KONSTRUIERTES ZIEL UNSERER JUGEND; DEIN HORIZONT ALS BESTANDSAUFNAHME** UNSERES KULTURELLEN BACKGROUNDS. WER SUCHT, FINDET IMMER DAS FALSCHE, UND NEELE SAGT: LINKS RECHTS LINKS. ABER NEELE HAT (KEI)NE SEELE.

Ich merke: Neele, deine Kaffeesahne ist so weiß wie dein blütenreines Gewissen, aber der Kaffee selbst ist so schwarz wie dein Humor. Nimm noch ein bisschen Milch, auch Müsli.
Sie darauf: Du bist so abgeschmackt, am liebsten würde ich dich in Schmackhaft nehmen! Einsperren in einen einen Meter mal einen Meter mal einen Meter großen Käfig bei Pepsi und Kartoffelchips. Damit du mal erlebst, wie ich mich fühle und warum ich überhaupt kämpfe für irgendwas.

Stille, Stille, Stille, Stille, Dreißig Mal Kauen; dann doch der Einfall zur Replik:
Neele, sag ich, du kotzt dich hier auf überheblich hohem Niveau aus, und deswegen fallen die Brocken tief. Du sitzt doch im goldenen Käfig und meinst allen Ernstes, draußen wär’s noch schöner. Glaub mir, nirgendwo ist’s so schön wie im goldenen Käfig und keine Generation war je so jung, so frei wie wir. Pass auf, ich schlage diese meine These an unsere Küchentür, damit die ganze Welt sie lesen kann. Neele, so:

[unrhythmisches Hammerklopfen]
Geehrte Menschen, Mädchen und Jungen! Jugend dieser Welt!
Ergreift, was ihr greifen könnt, nur nicht den letzten Strohhalm. Habt niemals Angst vor dem Untergang! Untergehen kann nur, wer schwer ist – doch wir sind schwerelos. Wir sind die schwerelose Jugend auf dem Weg zur ultimativen Erfüllung und können nicht stürzen. Der neue Papst ist 14 Jahre alt, 90 Prozent der Milliardäre sind unter 25, für den Bundeskanzler gilt eine obere Altersgrenze von 30. Jugend! Niemals wird unser Stern sinken, wir nennen uns Generation Ewigkeit, la génération éternelle. Wir sind jung und frei für immer. Mit uns hat die Evolution endlich ihr Ende, denn wir haben die höchste Stufe erklommen. Jung sein heißt frei sein, und weil wir in Zukunft immer frei sein werden, sind wir auch immer jung.
So lauten These, Argument und Beispiel.

LIBERTANIA!LIBERTANIA!LIBERTANIA!

________________________________________________________
*) Der Text ist auch als Hörspiel zu bekommen, dann jedoch um etliche Passagen und Musik bereichert und obendrein versehen mit zwei improvisierten Akten, welche aufgenommen wurden mit der hiesigen studentischen Improvisationstheatergruppe. Zum Download:
http://senduit.com/6a88d9
**) In der bewahrenden Tradition des liber chronicarum betrachtet, engen sich die Möglichkeiten einer Interpretation hyperbelhaft; doch ist so am ehesten auf die auch im Hörspiel angesprochene Verwurstung all unserer persönlichen kulturellen Schätze geantwortet, die vor allem den Tübinger herzlich und schmerzlich treffen muss.

Sonntag, 13. Mai 2007

HELMUT SCHMIDT hält in Tübingen die 7. WELTETHOS-REDE; Phoenix überträgt.

Im Hintergrund die breiten Basspfeifen der Orgel des Universitäts-Festsaals: Sakrales Fundament. Davor ein kleiner Tisch auf großer Bühne, daran zwei Personen: Theologische Welt-Kompetenz in persona Hans Küngs, der dünn vor den Orgelpfeifen und schmächtig neben Schmidt hockt. Schmidt ist nur Laie -- aber was für einer. Er redet schleppend sein erhabenes norddeutsches Pathos, es wabert in den Saal, aus dem TV. Trifft mich unvorbereitet am Kopf.

Thema GOTT: HErr...je. Vor sechs Jahren, meine Damen und Herren, haben in New York ein paar Personen im Glauben an GOTT dreitausend Menschen -- und sich selbst -- vom Leben zum Tode gebracht. Schon vor zweieinhalbtausend Jahren, meine Damen und Herren, wurde Sokrates zum Tode verurteilt: wegen GOTTlosigkeit.
Also gleich der Bruch!, gleich klarstellen: Ich mache hier keine Zugeständnisse an die Religion, auch nicht, wenn mein guter und geschätzter Freund Theologe Hans Küng neben mir seinen Platz hat!
Nach allem, was wir über Sokrates und auch Konfuzius wissen, haben sie ihre ethischen Prinzipien ganz ohne einen GOTT-Bezug entwickelt. Natürlich mussten sie den spirituellen Bedingungen ihrer Zeit Rechnung tragen und haben in ihren Werken das eine oder andere Lippenbekenntnis formuliert. Aber im Grunde findet sich weder in der hellenistischen Morallehre Sokrates' noch im geistigen Ursprung des Reichs der Mitte ein Bezug auf einen oder mehrere Götter. Ja. Und diese geschichtliche Erkenntnis zeigt uns also... dass Moral und Ethik keineswegs immer eines religiösen Fundaments bedarf, sondern auch allein aus vernünftigen Überlegungen hervorgehen kann. Wie wir anhand dieser beiden Denker sehen können, die heute noch Leuchttürme für Abermillionen Menschen sind.

VERNUNFT ist ein erschlagendes Wort, immer und immer wieder von SCHMIDT in Sätze gepackt: RATIO---AUFKLÄRUNG---GEWISSEN!.
Ich glaube: Manch ein Wurstling glaubt nicht mal an die Vernunft, genauso wenig wie er an Schokoeis mit Sahne glaubt. Das glaubt ihm dann wieder keiner, dass er an gar nichts glaubt. Er glaubt ja auch keinem, dass sie ihm nicht glauben, dass er nicht...: Und was gefällt, was verlockt an dem würdevollen Selbstgespräch des unterkühlten Schmidts, ist nicht nur die Ratio, sondern auch die implizite Relativierung aller seiner Aussagen. Alles begründet, nachvollziehbar zwar; aber nichts absolut, nichts allgültig, nichts mit Anspruch auf Letztendlichkeit. Kein Verlangen nach kollektiver Wahrheit, nur nach persönlicher Erkenntnis. Das passt sehr gut in unser Gedankenschema, da wir die Erkennbarkeit der objektiven Welt abstreiten!
Was alle eint, die Muslime mit den Christen mit den Agnostikern mit den Freidenkern, ist ihr Gewissen. Das kann nicht ernsthaft bestritten werden, dass jeder von uns ein Gewissen besitzt. Wir alle haben schon gegen unser Gewissen gehandelt und mussten mit unserem schlechten Gewissen weiterleben. Sie alle hier im Saal haben das schon erlebt. Und jeder Politiker auch. Nur: Ob man sein Gewissen dem lieben GOTT oder der Vernunft unterwirft, das sei jedem selbst überlassen.

...

(Das nächtliche Gespräch, Regen, Nachhauseweg:)
- JEDENFALLS, LIEBE FREUNDIN! musst du wissen:
Ich hab schon lang auf mein Gewissen geschissen.
- Ich weiß.
- Kannst du dir das vorstellen, dass ich kein Gewissen habe?
- Aha.
- Na ja, das sage ich jetzt zumindest so. Ich stilisiere mich nämlich gern als Bösewicht. Wir alle stilisieren uns ja irgendwie. Und die Bösewichte sind da immer die reizvolleren.
- Nein, du stilisierst dich nicht. Du hast wirklich kein Gewissen.
- Wie bitte?
- Du bist wirklich das Böse.
- Was solln das jetzt?
- Wenn du könntest, würdest du machen, dass alle Menschen sterben. Oder nein: Du würdest machen, dass alle Menschen außer DIR sterben. Ich kenne dich.
- Warum sagst du sowas?
- Weils wahr ist!
- Spinnst du!?
- Du bist das Böse.
- Ich...

(kleine schwache Wurst: Ich.)

...

Montag, 7. Mai 2007

Ver-Kannt | Im E=tick=unter-richt.

LÖHRER:
Liebe Schöler! Heute haben wir einen Gost bei uns im Ethikunterricht! Er ist weit gereist! Mit der Transsibirischen Eisenbohn! Das ist ... Puck! Antworte: wo begönnt die Transsibirische Eisenbohn?

PUCK:
In Moskau, Herr Löhrer!

LÖHRER:
Das ist richtig, Puck. Sötzen. Ariel! Wo endet sie?

ARIEL:
Wo endet wer?

LÖHRER:
Die Transsibirische Eisenbohn, du Nüchtsnutz!

ARIEL:
Weiß ich nich.

LÖHRER:
In Wlodiwostok, Ariel! (Zum Gast:) Lieber veröhrter Herr Professor Kannt, sie mössen entscholdigen! Einige meiner Schöler bedörfen noch einer weitreichenden Scholung, um sie mit den wöchtegsten Dingen des Lebens in einem außreichenden Moße vertraut zu mochen!

KANNT:
Ganz Recht, man muss sie nur immer mit Strenge und Härte behandeln! Zu meiner Zeit waren das noch ganz andere Zeiten!

ERIK (leise):
Wenn Herr Löhrer uns mit Strenge behandelt, wird er davon selbst immer ganz hart.

LÖHRER:
Was? Wos host du gesogt? ERIK!

ERIK:
Och, nöchts, dos vörstöhen sö nöcht!

LÖHRER:
WOOS? Schwoig!!! Sitz! Holts Maul!

ERIK (feixt):
Holts doch selber dein Maul, du Holzmaul!

KLASSE:
Buhuhu, Hähähäää! Krakrakra!

LÖHRER:
GENUG! Schöömt ihr euch nicht? Zeügt Respekt in Gegenwart eines großen Mannes der Philosophie! Hier stöht der Herr Professor Kannt! Ein Mann der Philosopie! Er ist weit gereist! Erük, du aufmöpfiger Möpf, antworte: Was ist die Philosophie?

ERIK:
Das ist, wenn man die Sofie recht lieb hat, Herr Löhrer.

LÖHRER:
Fein Erik! Was bist du nur ömmer so ungezogen und weißt doch so völ! Kannst du mir auch sogen, welches die aktuell göltige Philosophie ist, Erik?

ERIK:
Das ist die Aufklärung.

LÖHRER:
Fein! Und wör ist der größte Aufklärer, Ariel?

ARIEL:
Ich weiß nicht.

ERIK (schnell):
Doktor Sommer!

LÖHRER:
Nein! Nein! Der größte Aufklärer der Aufklärung steht hier vor uns! Er ist von weit her zu uns gereist. Wie ich schon sogte, mit der Transsibirischen Eisenbohn. Der Herr Professor Kannt hier hat viel geleistet für die Geistesgeschöchte unserer abendländisch-chröstlöchen Kultur! Herr Kannt, darf ich Sie bötten, uns eine einfache Frage zu beantworten? Ja? Sagen Sie doch: Was ist Aufklärung?

KANNT:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen.

ERIK: Ja, das hast du fein gesagt. Ihr Königsberger Klopse seid die leckersten Schmeckis!

KANNT (blinzelt):
Kind, wenn du meinst, mich beleidigen zu müssen, dann tue dies mit einigem Mindestmaße an Korrektheit! Es heißt jetzt nämlich: Kaliningrader Klopse!

LÖHRER:
Ganz röcht: Kolüningrader Klopse! Hoho!

Plötzlich ein dumpfer Knall. Rauchschwaden; Alien-Synthesizer; Lila-Pink-Blaues Licht. Auf einmal schwebt ein großer schwarzer Monolith mitten im Klassenzimmer. Musik fadeout. Stille. Stille. Stille. Stille. Alle haben die Augen aufgerissen. Der Löhrer und Professor Kannt und die Schüler spiegeln sich im schwarzen Spiegel der Monolithplatte.
-- Schnitt. --
Auf einmal sind alle 20 Jahre älter. Kannt ist ein Greis, der Löhrer auch. Die Schüler sind Mittdreißiger, einige haben erste kahle Stellen auf dem Kopf. Puck trägt einen Blaumann, Ariel eine Robe. Nur Erik ist nicht gealtert, sondern jung wie eh. Alle starren.
-- Schnitt. --
Noch einmal sind alle 20 Jahre älter. Kannt ist ein Gerippe, der Löhrer ein Skelett. Puck hat einen Bierbauch, Ariel hat einen Arm verloren (Krieg inzwischen?). Erik jung wie eh. Alle starren auf den Monolith.
-- Schnitt. --
Die Schüler sind Greise. Wo Kannt und Löhrer standen, liegt nun Staub. Erik jung wie eh. Stille. Stille. Dann leise: Strauss: "Also sprach Zarathustra". Langsam greift Erik in den Staub, der einmal Kannt und Löhrer war. Während die Musik anschwillt, hebt er den Arm. Auf dem Höhepunkt der Musik schleudert Erik den Staub in den Himmel. Die Kamera zoomt auf den fliegenden Staub. Es werden die Staubkörner zu unzähligen hellen Punkten vor dunklem Hintergrund: Sterne. Das Weltall. Im Hintergrund Jupiter. Dann eine große Blase, die durchs Bild schwebt. Darin: Erik. Man sieht, dass er etwas ruft; aber da im Weltall ein Vakuum herrscht, werden die Schallwellen nicht übertragen und wir können Erik nicht verstehen. Er bewegt den Mund, als riefe er uns etwas zu! Da! Die Kamera fährt näher, ganz nah. Sie berührt die Haut der Blase, durchstößt sie! Wir hören Erik!


ERIK (schreit, brüllt, jubelt):
VERKANNTER KANNT! Beantworte mir die Frage: Was ist Verklärung?! Neinein, das weißt Du nicht mehr. Aber ich! ICH! Hört!: (in Trance:)
Verklärung ist der Eingang des Menschen in seine langersehnte Mündigkeit! Mündigkeit ist das Vermögen, sich seiner Kunst ohne Einschränkung eines anderen zu bedienen. Langersehnt ist diese Mündigkeit, wenn die hindernden Gründe nicht im Mangel des künstlerischen Vermögens, sondern der Entschließung und des Mutes liegen, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen! HA! Nieder mit den Schulen! Nieder mit den Löhrern! Nieder mit den Vätern! Evolutionieren wir uns in die FREIHEIT!

ÖÖÖÖÖÖXXXXTAAAAAASSSSSEEEEEEEEE!!!!!
Abkühlung. Beruhigung. Genießen der Ruhe nach dem Sturm.
Erik Mongrain auf YouTube.


Montag, 23. April 2007

Dans le café: Au lait! Au lait! Au lait! Olé Olé Olé!

Ergriffen hatte sie meine Hand an der Stelle, als ich von Adornos wagemutigem Ausspruch Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch! und dessen Rezeption bei zeitgenössischen Schriftstellern zu sprechen begann. Draußen nieselte ein kalter Frühlingsvormittag, doch die Croissants waren dafür noch so warm, dass die Butter auf ihnen zerlief. Aus den kleinen Eck-Boxen pümpften die Rolling Stones, das gab mir so den richtigen Schwung in meinen Ausführungen:

Immerhin hat Paul Celan sein ganzes Leben immer unter ganz paranoidem Verfolgungswahn gelebt, als deutschsprachiger Jude. Sulamiths aschenes Haar spukte ihm sozusagen ganz unaufhörlich durch seinen Kopf. Celan hat total Angst gehabt vor den Deutschen, hinter jedem hat er noch einen alten Nazi gesehen. Vielleicht wärs ihm sozusagen lieber gewesen, wenn kein Deutscher bereut hätte und sich mit den Juden versöhnt hätte, denn dann hätte er ja immerhin gewusst, woran er ist.

Während sie nun meine Faust umklammert, betrachte ich ihre Finger: Sie sind ganz kalt und haben kleine weiße Flecken auf den ansonsten hübschen Nägeln; ich sollte ihr empfehlen, mehr Milch zu trinken.

Meinst du wirklich? äugt sie gefesselt. Und sagt: Das ist ja spannend!

Klar meine ich das, ist doch logisch. Weißt du, genau solche Typen wie Günter Grass, die den Deutschen ihre Verbrechen vorhalten, und dann aber sozusagen selbst alte Nazis waren, vor denen hatte der arme Paul Celan Angst. Der war sogar mit Grass befreundet! Wenn der das gewusst hätte! Ist sozusagen ein Glück, dass Celan schon so lange tot ist, der würde sich nämlich im Grabe rumdrehn, wenn der die SS-Geschichte hören könnte. Ist doch gut, dass er sich von der Brücke gestürzt hat ...

Ach, du bist immer so radikal!: strahlt sie mich an.

Dergestalt erzähle ich noch ein Weilchen weiter, alles auswendig aus dem Kopf. Von Grass komme ich nach Danzig, von Danzig nach Hamburg, von Hamburg zu Jan Philipp Reemtsma, von Reemtsma zu Arno Schmidt und dann wieder zurück. Weil ihre Hand immer fester die meine drückt, beschleunige ich meine Ausführungen, um schneller fertig zu werden. Da bekommt sie vom Kellner noch ein Glas Milch, das sie auf meinen Rat bestellt hat. Doch auch beim Trinken behält die Furie meine Hand immer in ihrer Umklammerung! Schließlich gelange ich an die Stelle, an der ich jedes Mal rhetorisch frage, ob es nicht ein Treppenwitz der Geschichte sei

dass Jan Philipp Reemtsma während seiner Entführung ausgerechnet in Osterholz-Scharmbeck in einem Keller festgehalten wurde, wo doch seine eigene Familie aus Osterholz stammt! Für 30 Millionen hat ihn seine Familie damals frei gekauft. Aber die schwimmt ja auch im Geld. Du weißt doch bestimmt, Jan Philipp Reemtsmas Vater war der Besitzer von den bekannten Reemtsma Cigaretten-Fabriken, die mit Davidoff und West und ähhh Cabinet! Na ja, jedenfalls wollte Jan Philipp Reemtsma sein Geld nicht mit dem Lungenkrebs anderer Leute verdienen. Und deswegen hat er, als er 1978 die Fabriken vollständig geerbt hat, einfach alles verkauft. Musst du dir mal vorstellen! Verkauft der einfach ein milliardenschweres Tabak-Unternehmen! Wird sozusagen auf einen Schlag Multimillionär! Na und was hat er dann gemacht!? Er hat sein Geld für die Kunst eingesetzt, für die Literatur! Hat sich sozusagen gedacht: Jetzt werde ich ein Mäzen, ganz so wie im Mittelalter, dann behält die Welt immerhin noch was von mir in Erinnerung! Ist das nicht beeindruckend? Reemtsma hatte nämlich einen Lieblingsschriftsteller, von dem hab ich dir ja schon erzählt vorhin: Arno Schmidt. Und dem hat er einfach dreihundertfünfzigtausend De-Mark geschenkt. 350.000! So viel war zu dieser Zeit ein Nobelpreis wert, musst du wissen. Ist doch toll. Der verkauft die Tabak-Fabriken und spendiert seinem Lieblingsschriftsteller von dem Geld einen privaten Nobelpreis! Großartig oder? Das sind die modernen Helden der Literatur!

Die Stones-CD muss schon vor einer Weile zu Ende gespult haben. Jetzt schnalzt Schnittke aus den Boxen, das zerschneidet die gemütliche Café-Stimmung. Ich habe weder Luft noch Lust, in meiner Geschichte fortzufahren. Aber das ist auch gar nicht nötig. Sie stöhnt ja schon!:

Ach, mein Held!
Ich: Ach, Liebchen, jaja, ist schon gut.
Sie dann: Nein wirklich! Du bist einfach der Anekdotenkaiser! Ein Geschichtenwunder! Ein ästhetischer Gott!
Ich dann: Jaja, hast ja Recht, lass mal gut sein.

Ich möchte vor allem meine Hand befreien, das Miststück umkrallt sie wie einen Rettungsring. Wart nur, gleich werd ich dir zeigen, was deine Hand an mir alles anstellen kann, wenn du sie richtig einsetzt! Ich schlucke den Schmerz und grinse ihr in die Augen, die ganz hinreißend zurückglitzen. Ich weiß schon, was jetzt kommt. Nachher wird sie brüllen CELAAAN! CELAAAN! SCHMIIIIIDT! wenn sie es nicht mehr halten kann. Ich aber stöhne dann leise und zufrieden Jan ----- Philipp! Au lait au lait au lait!

Freitag, 20. April 2007

Essay über einen Film; Essay über ein Selbstgespräch.

Seit Tagen nur Wind aus Nord-Nordwest; die kalten Böen nehmen an Stärke beständig zu, wie ich mit wachsender Erregung täglich auf meinem Weg zur Universität feststelle. Da braut sich was zusammen, und es wird mich diesmal nicht so leicht davon kommen lassen. Solange nur Äste von den Bäumen fallen, mag es noch gehen; aber ich fürchte den Tag, an dem mir die losen Pflastersteine in der Gützkower als Geschosse entgegenfliegen. Wie das so ist, erschlagen zu werden von einem Pflasterstein, faustgroß und felsig?

Zuerst immer die Düsternis: Nichts Niemand Nirgends Nie! : Nichts Niemand Nirgends Nie! Doch danach sind es jedes Mal zwei Dinge, die sie nennen, die Zurückgekehrten, die fast Aufgegebenen: Der Tunnel und der Film. Dabei ist der Tunnel doch eher zu den langweiligen Phänomenen zu rechnen, hinlänglich zu erklären mit medizinischer Allerweltsbildung. Außerdem haben Tunnel für mich ihren Reiz verloren, seit ich meiner Matchbox-Flotte keine Rennstrecken aus Bauklötzern mehr baue.
Aber wie wohl der Film aussieht, der mir (hoffentlich um jedwede vergessenswerte Passage gekürzt...!) mein Leben noch einmal vorführt? Ob dabei eine Stimme aus dem Off sämtliche meiner Taten kommentiert, sich göttlich aufspielt und Gericht hält über mein Leben! Das wär einmal interessant, wie ich mich dann verteidigte. So viel sei versichert: Ich schätze die normative Moralphilosophie nicht, habe auch keine Skrupel, dies dem sphärischen Richter bei meinem Schlusswort entgegenzubrüllen. Mir waren Verbrecher, die sich zu ihren Taten bekennen, schon immer lieber als solche, die dem Druck der Öffentlichkeit nachgeben: Bereuen -- sag ich -- niemals!

Hoffe ich, dass keine Stimme aus dem Off mein zwischenweltliches Filmerlebnis beeinträchtigt. Doch welcher Machart mein Biopic ist, das würde ich gerne wissen. Welcher Typ Regisseur? James Cameron oder Richard Linklater? Claus Peymann oder Christoph Schlingensief? Und ob ich noch einmal alles aus der Ego-Perspektive erleben muss, ober ob die Geschichte wenigstens auktorial erzählt wird, gar personal? Und wo sind die Schnitte, die Kapitel, vor allem: die Weglassungen!? ("Verschiebung ins Extradiegetische" würde der Literaturwissenschaftler das nennen. Ich habe was gelernt in meinem kurzen Leben.) Da ist viel zu streichen, und noch mehr zu kürzen. Ich hoffe doch, dass ich vielerlei Fliegendreck nicht in der Wiederholung sehen muss. So:


KLAUS-JOCHEN GROTHE (Rhetoriker):
Sie lassen bei ihrer Rede den linken Arm immer so hängen, während sie mit dem rechten rumfuchteln. Dabei wär es doch gut, wenn Sie beide Hirnhälften mit einbeziehen! (Hier skeptisches Grunzen der Seminarteilnehmer.) Na ja, Sie kennen das doch: Der linke Arm wird von der rechten Hinhälfte gesteuert und der rechte Arm von der linken Hirnhälfte. Wenn Sie strukturelles und kreatives Denken verbinden wollen brauchen Sie beide Hirnhälften, also auch beide Arme!

GEORG:
Wieso?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Nun, wenn Sie beide Arme, die ja aus rhetorischer Sicht nur Verlängerungen unseres Gehirns darstellen, mit einbeziehen, dann beziehen Sie ja auch beide Hirnhälften mit ein! Das heißt dann, dass Sie beide Arme benutzen müssen, damit ihre Rede besser wird!

GEORG:
Aha. Für wen?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Wie, für wen?

GEORG:
Für wen wird die Rede dann besser?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Na für ihre Zuhörer in erster Linie. Dann können sie besser mit ihrem Publikum kommunizieren! Das versteht sie dann besser!

GEORG:
Das will ich doch gar nicht.

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Nicht? Sie wollen nicht, dass man Sie versteht? Sagen Sie mal, was wollen Sie dann überhaupt hier?

GEORG:
Reden halten.

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Ja und an wen?

GEORG:
Wie, an wen?

KLAUS-JOCHEN GROTHE:
Verdammt nochmal, an wen wenden Sie sich hier beim Reden?

GEORG:
An mich selbst.


So wäre es also, das ewige Selbstgespräch, das mein Leben ist. Mich versteht ja eh keiner, und zwar weil es 1.) einen Andern als mich gar nicht gibt (Idealismus) oder 2.) falls es doch jemand anderes gibt, dieser mich mit Sicherheit nicht so versteht, wie ich es gern möchte (Konstruktivismus). Warum dann also erst versuchen, mich verständlich zu machen!? Im Diskurs mit mir selbst komme ich am ehesten zu Ergebnissen. Kein Gesprächspartner ist so faszinierend wie ich selbst.
Was die anderen angeht, so mische ich mich nicht in ihre Angelegenheiten. Ich versuche gar nicht erst, ihnen meine Sicht der Dinge begreiflich zu machen. Das wäre wie ein vergebenes Gespräch bei der Feldarbeit, denn das tägliche lebenslängliche Mähen des Getreides macht das Denken in fremden Ackerfurchen schwierig und den Geist träge; die moderne Maschinerie tut ihr Übriges, um die Störgeräusche hinaufzuschrauben. (Die Dreschmaschine rüttelte schtändig dazwischen, wir konnten sagen & denken was wir wollten. Also lieber bloß zukukken.)

Falls mir also heute Abend bei meiner Spazierfahrt ein Stein gegen den Kopf fliegt, ausversehen, und ein großes Loch dahineinreißt: Dann sehe ich möglicherweise einen Film, der, gekürzt oder ungekürzt, vor allem eines enthält: Mein lebenslanges Gespräch mit mir selbst, in das ich niemanden hineinlasse, und das gerechterweise auch nicht versucht, sich in ein anderes Selbstgespräch einzuklinken. Der Titel des Films:
Ich sage mir: Nichts Niemand Nirgends Nie! : außer mir.

Freitag, 13. April 2007

Die Fiedler

FIESER KERL MIT BÖSER VISAGE:
Und du, Kind, bist die Saite, auf der ich streiche mit meinem Fidelbogen; erst ganz langsam, dann heftiger und immer heftiger streiche, hoch und runter, auf und ab.

CLARA:
Jaja, ich will's immer versuchen.

FKMBV:
Wenn ich dich heftiger streiche, auf und ab, heißt das, du sollst lauter klingen. Brüll raus den Schmerz. So liebt's das Publikum!

CLARA:
Jaja, ich will auch immer artig sein.

FKMBV:
Und wenn wir bezaubernd fiedeln, dann liebt uns das Publikum zu Tode. Ja! wir holen uns den Himmel auf Erden. Wenn ich's nicht besser wüsste, würd ich sagen: Du und ich, Kind, die Saite und der Bogen, wir sind die himmlische Geige. Hähä.

Damit sie mir nicht so rasch wieder entfleuchen, hier noch einmal die Binomischen Formeln:

(a + b)º = 1
(a + b)¹ = a + b
(a + b)² = a² + 2ab + b²
(a + b)³ = a³ + 3a²b + 3ab² + b³
...
[s.a. pascalsches Zahlendreieck!]

Kruzifix noch eins. Dan Richter ist ein Selbstdarsteller, aber manchmal hat er Recht.

Über allen Dächern schwebend
Scheiß ich dir von oben auf dein helles Blatt
Weil du den Poetry-Slam gewonnen hast.
Ganz ohne Poetry gewonnen hast.
Nur mit Prose.
Geh doch zum Prose-Slam das nächste Mal.
Vielleicht lesen sie dort
Noch ordentliche Gedichte.
Arschloch.

Freitag, 6. April 2007

I've Just Seen A Face im Schatten von Yesterday

Weil T. so gern mit mir im dunklen Auto Musik hört. Weil sie alle Beatles-Lieder auswendig aufsagen kann. Weil die Beatles die einzige Gruppe des 20. Jahrhunderts sind, die in 400 Jahren noch in den Musiklehrbüchern erwähnt wird.

1965: Als die Beatles das Album HELP! in die Läden stellen, heben Millionen pubertierende, zukünftige Flower-Power-People den Tonarm ihres Plattenspielers mit dem Zeigefinger hoch, schweben mit der Nadel Millimeter über dem Vinyl, lassen sich endlich behutsam in die dreizehnte Rille fallen. Diese dreizehnte Rille ist Yesterday, und die schneidende Bratsche in der vierten Strophe bringt alle jugendlichen Herzen zum Bluten.
Das ändert sich auch gut dreißig Jahre später nicht: Yesterday ist das einzige popkulturelle Musikstück, das die schon fast ertaubte Frau Schmidt mit uns Fünftklässlern im Musikunterricht behandelt. Heute noch: Die Zeigefinger tippen Next bis Track 13.

Kein Mensch weiß, welches Lied auf HELP! vor Yesterday kommt, und niemand kennt das Lied danach. Kaum ist Pauls träniges Summen verklungen, fetzen schon die Overdrive-Gitarren von Dizzy Miss Lizzy ihren Stampfrock: nichts bleibt von der Streichquartettmelancholie. Der Kontrast ist hart, so plump gehobelt, dass er banal wird und völlig uninteressant fürs Ohr. Da waren die Übergänge auf unserem Mixtape aus der neunten Klasse besser arrangiert. Und, na klar, außerdem ist Dizzy Miss Lizzy nicht einmal ein originales Beatles-Lied, nur ein Cover, ein schlechtes obendrein. Während doch heute Yesterday als das meistgecoverte Lied der Welt firmiert.

Aber da ist der Nachbar auf der anderen Seite. Das Lied vor Yesterday: Track 12: I've Just Seen A Face. Flott und doch besinnlich; eingängige Melodie; mit 2 Minuten 7 Sekunden exakt so lang wie Yesterday. Ein großartiges Lied, das dennoch kein Schwein kennt. Es hat den Kampf wohl verloren. Blieb chancenlos im Schatten von Yesterday. Und doch ist da eine Spannung zwischen dem berühmten Klunker und der kleinen Perle: eine Beziehung, eine Intermusikalität. Diese beiden Lieder kennen sich gut. Sie sind sich so ähnlich, dass sie im jeweils anderen einen Freund erkennen, und sind dabei so wenig verschieden, dass sie Feinde sein müssen. I've Just Seen A Face ist in dieser Konkurrenz unterlegen. Paul summt nicht halb so inbrünstig.

Doch Freund! schau hinter die Fassaden! Niemals wäre Yesterday die Leiter des Popkitsch bis ganz nach oben geklettert, hätte nicht das kleinfeine I've Just Seen A Face den Weg für den großen Bruder geebnet. Amicus, kämpf doch auch für die unscheinbaren Kunstwerke! Vergiss mal den Hauptstrom! Sei un=abhängig! Unterwirf dich niemals dem Urteil anderer! Wenn dich das nächste Mal einer fragt, was dein liebstes Lied auf HELP! ist, dann antworte stolz: Track 12 -- I've Just Seen A Face.

Freitag, 23. Februar 2007

FeTzEnScHmAcHtEr einszweiDREI



Autobiografisch!
Never-ever chronologggisch!
(War da nicht sowas sentenzartiges in High Fidelity? Hmna?)

_die uhhralten schrullen_
Neutral Milk Hotel - In The Aeroplane Over The Sea
The Decemberists - Red Right Ankle

_die alten jungfern_
Uzi & Ari - Mountain / Molehill

_die mitteljungen konkubinen_
John Frusciante - With No One
Wolf Parade - Fancy Claps


_die mädelchen mit roten westen_
Wilco - Jesus, Etc.
CocoRosie - K-Hole
Peter Bjorn and John - Young Folks

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